Viele Touristen und politische Beobachter sind schockiert vom Ausmaß der Gewalt in Südafrika. Morde, Raubüberfälle und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Umso bemerkenswerter sind neue Männerinitiativen, die der Gewalt Einhalt gebieten wollen. Unter dem Motto „Wahre Männer schlagen und vergewaltigen nicht“ haben frühere Anti-Apartheid-Aktivisten im Jahr 2006 das so genannte Sonke Gender Justice-Netzwerk gegründet. Einige von ihnen waren wegen ihres politischen Widerstands gegen das rassistische Apartheidregime in den 1980er Jahren inhaftiert worden und kamen erst mit dem Ende der Apartheid 1994 frei. „Sonke“ ist ein Nguni-Wort und heißt „gemeinsam“: In enger Zusammenarbeit mit Frauen-, Menschenrechts- und AIDS-Organisationen wollen diese Männer die Gewalt gegen Frauen in Südafrika beenden, aber auch den Gewaltakten zwischen Männern Einhalt gebieten.
Wie gigantisch diese Aufgabe ist, zeigt ein Blick auf die Gewaltstatistiken: Jährlich registriert die Polizei über 52.000 Vergewaltigungen. Die meisten Opfer sind ganz junge Mädchen. Zahllose werden mit HIV infiziert, etliche werden schwanger. Auch bei häuslicher Gewalt, Inzest und Frauenmorden ist Südafrika weltweit Spitzenreiter. Und das nicht erst seit der politischen Wende 1994.
Gewalt während der Apartheid und im Kolonialismus
Schon in den 1950er Jahren hatte Südafrika weltweit die höchsten Raten an Familienmorden, Täter waren vor allem weiße Buren. Die Apartheid, die 1948 eingeführt wurde, hatte die Gesellschaft militarisiert. Sie basierte auf der jahrhundertelangen Herrschaft weißer, rassistischer Siedler, ihrer kriegerischer Expansion, ihrem ausgeprägten Waffenkult und der Gewalt auf ihren Farmen. Auspeitschungen und Vergewaltigungen waren insbesondere das Schicksal der dortigen Sklavinnen und Sklaven, die zwischen 1652 und 1834 aus Südostasien importiert worden waren.
Mit großer Brutalität eigneten sich die Weißen im Lauf der Jahrhunderte immer mehr Land an. In zahllosen Grenzkriegen nutzten sie die perfide Strategie der verbrannten Erde. Sie zerstörten Ernten und Häuser, verschleppten Kinder und Frauen. Schwarze Südafrikaner_innen wurden zwar nicht versklavt, aber systematisch vertrieben. Hunderttausende wurden gewaltsam zur Arbeit auf den Farmen der Weißen gezwungen. Im 20. Jahrhundert wurden zahllose Männer außerdem als Wanderarbeiter für die lukrativen Gold- und Kohleminen rekrutiert. Viele kamen krank, gebrochen und gedemütigt durch weiße Vorarbeiter nach mehreren Jahren Minenarbeit zu ihren Familien in die ländlichen Gebiete zurück. Wegen ihrer geringen Löhne hatten sie ihre Frauen und Kinder immer nur unzureichend versorgen können.
Während der über vierzig Jahre dauernden Apartheid verstärkten Polizei und Militär diese Gewaltstrukturen. Der Polizeistaat erklärte die schwarze Bevölkerungsmehrheit zum Feind im eigenen Land und legitimierte jedes Mittel zur Repression und zur Niederschlagung friedlicher Proteste. Tausende wurden umgebracht, Zehntausende inhaftiert und gefoltert. Zu den Foltermethoden zählten sexuelle Misshandlungen von Frauen und Männern. Gleichzeitig rüstete die Apartheidpolizei kriminelle Banden auf und versorgte sie mit Drogen. Sie sollten die Einwohner schwarzer Stadtteile terrorisieren und ihren Zusammenhalt schwächen. Zwar gaben die Vertreter des Apartheidregimes Anfang der 1990er Jahre durch Verhandlungen ihre Macht ab, dennoch sorgten Schergen des alten Systems in etlichen Landesteilen für bürgerkriegsähnliche Zustände. Mehrere hundert Menschen wurden Opfer der politisch motivierten Gewalt.
Strategien gegen die Gewalt nach der Apartheid
Schwer lastete dieses Erbe der Apartheid auf der jungen Demokratie. Nach der Machtübernahme Nelson Mandelas 1994 entschloss sich die neue Regierung, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einzusetzen. Sie sollte die schlimmsten Gewaltverbrechen während der Apartheid aufdecken. Allerdings hatte diese Kommission nur ein begrenztes Mandat und bot keinen Rahmen, um die geschlechtsspezifische Gewalt als Bestandteil der Gewaltstrukturen im Apartheidregime zu thematisieren. So wurden viele Gewalttaten verschwiegen und Gewaltmuster unter neuen Vorzeichen fortgeführt.
Genau hier setzen die Sonke-Aktivisten an. Denn sie halten die Erinnerung an die Geschichte wach, um ein neues Südafrika zu gestalten. Sie zeigen die Zusammenhänge auf zwischen dem Gewaltapparat des Apartheid-Regime und der heutigen Gewaltbereitschaft; zwischen der Militarisierung der Gesellschaft und der Zerrüttung zahlreicher Familien sowie der Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher. Ihnen fehlen positive Vorbilder, zahllose Jungen erleben die eigenen Väter ausschließlich als autoritär und gewalttätig.
Neue Definition von (sozialer) Vaterschaft
Als namhafte Anti-Apartheid-Kämpfer genießen die Sonke-Mitarbeiter hohes Ansehen; dennoch ist ihre Arbeit mühsam und schwierig. Dreh- und Angelpunkte ihrer Veränderungsansätze sind neue Männlichkeitsbilder und die Prävention. Mit Aktionstheater oder selbst gestalteten Video- und Radioprogrammen will Sonke besitzergreifendes Sexualverhalten verändern. Auf diesem Weg sollen auch HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen reduziert werden, die vor allem junge Menschen dahinraffen.
Sonke fordert auch die aktive Mitarbeit und Unterstützung staatlicher Organe und wichtiger Multiplikatoren: Von Polizisten die Einhaltung der Gesetze und die strafrechtliche Verfolgung geschlechtsspezifischer Gewalt, von Lehrern klare Absagen an die grassierende Gewalt, also sexuelle Übergriffe nicht mehr zu bagatellisieren oder gar selbst daran mitzuwirken.
Oft haben die Sonke-Aktivisten mit strukturellen Problemen zu kämpfen: Viele Männer sind arbeitslos und können das Ideal vom Ernährer der Familie nicht erfüllen. Es ist schwierig, diese Männer zu erreichen. Sonke versucht, sie zu motivieren, Verantwortung für ihre Stadtteile und ländlichen Siedlungen zu übernehmen – zum Beispiel die Versorgung von AIDS-Waisen zu organisieren. Sie bekommen dafür Unterstützung vom Staat, werden zu Ansprechpartnern für ihre Gemeinden und erwerben sich Respekt. Dann haben sie es nicht mehr nötig, ihre Autorität gewaltsam zu beweisen.
Gelegentlich werden sie von konservativen Männern angefeindet und müssen diplomatisches Geschick und Standhaftigkeit unter Beweis stellen. Die Neudefinition von sozialer Vaterschaft ist für alle Beteiligten ein Lernprozess, auch für die Frauen. Vor allem ältere Witwen, die sich oft ganz allein um AIDS-Waisen kümmern, profitieren bereits von der Arbeit dieser Männer
Kooperationen und politische Lobbyarbeit
2007 prangerte Sonke das Urteil im Prozess gegen den ANC-Chef Jacob Zuma an: Er war in einem fragwürdigen Vergewaltigungsprozess freigesprochen worden. Zuma hatte zugegeben, mit einer HIV-positiven Frau ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Er behauptete jedoch erfolgreich, die Klägerin habe ihn verführt.
2009 zeigte Sonke den Leiter der ANC Youth League Julius Malema für dessen verachtende Äußerungen über Vergewaltigte an. Malema musste sich entschuldigen und eine Geldstrafe zahlen, äußerte sich aber rassistisch über weiße Sonke-Mitarbeiter. Gerade solche Angriffe bestärken die Organisation, ihre kritische Haltung gegenüber der Regierung nicht aufzugeben. Sie kritisiert das Fehlverhalten einzelner Politiker und Missstände in Behörden und beruft sich dabei auf das geltende Recht. Gerade für die junge Demokratie Südafrikas, in der es kaum Oppositionsparteien gibt und diese auch keine nennenswerte Regierungskritik üben, sind solche zivilgesellschaftlichen Kontrollen wichtig. Schließlich gilt Geschlechtergerechtigkeit als ein Beitrag für soziale Gerechtigkeit, die Verwirklichung von Menschenrechten und den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft.
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Dr. Rita Schäfer ist Ethnologin, freiberufliche Wissenschaftlerin. Mehrjährige Gender-Forschungen in West- und Südafrika. Publikationen u.a.: Im Schatten der Apartheid (2. akt. Aufl . 2008), Gender und ländliche Entwicklung in Afrika (3. akt. Aufl . erscheint 2011). Frauen und Kriege in Afrika (2008). www.frauen-und-kriege-afrika.de
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